Rollenspiele? Gewusst wie!
Der erfahrene Arbeitsmediziner wird es zu bestätigen wissen: Kaum ein Berufsbild vereint in seinem Verantwortungsbereich derart viele unterschiedliche Rollen unter seinem Dach wie das des Leitenden Arbeitsmediziners. Er kennt die unterschiedlichen Anforderungen, die an ihn als Arzt im Konzern gestellt werden, nur zu gut. Neben seiner klassischen Rolle als Mediziner bekleidet er, je nach Aufgabenstellung im Daily Business, etliche weitere unterschiedliche Rollen. So sind über seine fachlich-medizinische Befähigung hinaus Managementqualitäten gefragt wie Führungskompetenz, soziale Kompetenz, Kommunikationsstärke und Motivationsfähigkeit.
„In seiner Funktion als Leitender Arbeitsmediziner kommt er nicht selten in die Situation, unterschiedliche und gleichzeitig spannende Rollen flexibel besetzten zu müssen“
Dessen sollte sich jeder Arzt bewusst sein, der sich für diesen Karriereweg interessiert und entscheidet, damit er sich adäquat in diesen Rollen zu bewegen und zu agieren weiß.
Tretminen nicht ausgeschlossen
Das heißt, jeder der unreflektiert oder unwissend um dieses Rollenverständnis in diese Position einsteigt, läuft schnell Gefahr, Tretminen und anderen Fallstricken im Unternehmen zu begegnen. Das wiederum führt möglicherweise zu Unverständnis und Irritationen auf allen Seiten. Plötzlich gerät man in unangenehme Situationen, die vorher weder absehbar noch gewollt waren. Am Ende könnte eine große Unzufriedenheit im Job eintreten. Das lässt sich leicht vermeiden, indem verstanden wird, welche hohe Komplexität an Aufgaben und Rollen existieren. Wer diese einzelnen Rollen wirklich beherrscht und deren Anforderungen geschmeidig miteinander verknüpft, erfreut sich täglich an einer sehr spannenden, mannigfaltigen und interessanten Tätigkeit mit sehr großem Gestaltungsspielraum.
Wir bei Docatwork haben genau hingeschaut und eine Auflistung der wichtigsten Rollen für Arbeitsmediziner im aktiven Umfeld erstellt:
Der Arzt als…
…Kollege
Hier sind zwei Dimensionen in die Betrachtungsweise einzubeziehen. Zum einen bezeichnen sich Ärzte untereinander immer als Kollegen – selbst wenn keine beruflichen Berührungspunkte untereinander bestehen. Die Definition von Kollege hat bei Ärzten somit eine ganz eigene Bedeutung.
Ganz anders ist die Situation im Unternehmen oder im Konzern. Hier sind alle Mitarbeiter untereinander Arbeitskollegen. Der Hausmeister gehört hier ebenso zum Kollegium wie der Vorstand oder auch der Mitarbeiter aus dem Controlling. Jeder im Unternehmen ist also ein Kollege des Betriebsarztes bzw. Arbeitsmediziners und umgekehrt.
Als Arbeitskollege Teil des Teams
Sicherlich gilt es zu differenzieren, ob sich der Betriebsarzt in seiner ärztlichen Rolle bewegt oder aber als Arbeitskollege. Wenn er sich in der Kantine mit seinem Kollegen aus dem Controlling über die neue strategische Ausrichtung im Konzern austauscht oder aber auch einfach nur privat zum Beispiel über den vergangenen Sommerurlaub, ist er ein ganz normaler Arbeitnehmer und Arbeitskollege, genauso wie sein Kollege.
Etwas anders gelagert ist seine Kollegen-Rolle allerdings doch, wenn er in seiner Funktion als Arbeitsmediziner ärztliche Beurteilungen von Mitarbeitern vornimmt. Dann ist er nicht mehr Arbeitskollege, sondern der entscheidende Arzt, der eine Situation bewertet. Die für alle Ärzte geltende Schweigepflicht trifft auch hier zu. Das heißt, in diesem Fall verlässt er die klassische Kollegen-Rolle und wechselt in die des Arztes.
Fazit:
Jeder Arbeitsmediziner sollte sich darüber klar sein, dass er nicht immer nur ein Arzt ist, sondern auch mal ganz normaler Arbeitskollege.
…Vorgesetzter
In der Rolle des Vorgesetzten dominieren strategische Tätigkeiten wie beispielsweise das Definieren von Zielen und Arbeitsprozessen sowie die Führung von Mitarbeitern. Hier spricht der Leitende Arbeitsmediziner seine Erwartungen klar aus oder bestimmt Vorgaben, die von seinen disziplinarisch untergebenen Kollegen umgesetzt werden sollen. In der Regel handelt es sich bei diesen Kollegen um Assistenzpersonen in der Medizin. Es können aber auch ganz „normale“ kaufmännische Assistenzkräfte sein, die vor Ort eingesetzt werden. Achtung: Hier ist der Arzt nicht in der Rolle des Arztes aktiv; hier ist er für bestimmte Prozesse und Abläufe einfach nur Vorgesetzter. Je nach Unternehmensgröße und Position verantwortet er auch manchmal ein größeres Ärzteteam.
In seiner Rolle als Vorgesetzter kann er ein fachlich Vorgesetzter oder ein disziplinarisch Vorgesetzter sein. In beiden Fällen hat er ganz normale Führungsaufgaben zu meistern, die in der Regel nichts mit klassischen Arzt-Aufgaben zu tun haben.
Beispiel: In der Konzernleitung wird festgelegt, welche Informationen im digitalen Patienten-Datenblatt von den entsprechenden Mitarbeitern aufgenommen, gepflegt und weitergegeben werden. Selbstverständlich leitet der Arzt diese Vorgabe als Anweisung an sein Team weiter, mit der Bitte um entsprechende Umsetzung.
Klare Weisungsbefugnis
Sollte sich jemand dieser Anweisung verweigern, ist es die Aufgabe des Vorgesetzten, dieses Verhalten zu hinterfragen und dafür zu sorgen, dass die Vorgaben doch eingehalten werden.
Wenn es also um Kritik oder Fehlverhalten geht, befindet sich der Arbeitsmediziner nicht in der Rolle des Arztes sondern in der eines Vorgesetzten. In dem Moment ist es seine Aufgabe, das Fehlverhalten entsprechend anzusprechen, zu kritisieren und notfalls auch auf Konsequenzen hinzuweisen. Das ist eine Vorgesetzten-Tätigkeit – keine ärztliche Tätigkeit.
Fazit:
Team- oder Mitarbeiterführung ist eine klassische und notwendige Management-Aufgabe, die ein Arbeitsmediziner/Betriebsarzt in leitender Funktion übernehmen muss.
Fachlicher oder Disziplinarischer Vorgesetzter – worin besteht der Unterschied?
Der größte Unterschied liegt darin, dass der Fachliche Vorgesetzte im Gegensatz zum disziplinarischen Vorgesetzten keinerlei Weisungsbefugnis innehat. Seit Wirkungsfeld bezieht sich einzig und allein auf fachliche Themen und Kompetenzen. Hier hat er das letzte Wort.
Der disziplinarische Vorgesetzte hingegen ist seinen Mitarbeitern gegenüber weisungsbefugt und verantwortet sämtliche arbeitsrechtlichen Themen und Aufgaben. Dazu gehören z.B.
- Vertragliche Vereinbarungen
- Gehaltsverhandlungen
- Mitarbeiterführung
- Beurteilung der Mitarbeiter
…Untergebener
Grundsätzlich sei gesagt: der Arzt ist hinsichtlich jeder fachlichen Weisung völlig frei. Das heißt, niemand kann ihm vorschreiben, wie er fachlich – also medizinisch – eine Situation zu beurteilen hat.
Aber natürlich hat auch der Leitende Arbeitsmediziner in der Organisation eines Unternehmens oder Konzerns einen Vorgesetzten. Und natürlich kann ihm dieser Vorgesetzte auch Vorgaben machen. Zum Beispiel kann er ihm mitteilen, welche Software im Unternehmen benutzt wird, wie häufig Backups durchzuführen sind oder welche Arbeitszeiten vorgeschrieben werden. Es gibt hier also – auch für Ärzte – eine gewisse Unterordnung im Konzern. In dem Fall nehmen sie die Rolle eines ganz normalen „Untergebenen“ ein und werden – im Klartext – damit auch zum Befehlsempfänger bzw. Empfänger von Aufgaben, die sie zu erledigen haben.
Neutralität in der Funktion als Arzt bleibt allerdings bewahrt
Unberührt davon bleibt natürlich ihre Neutralität bei der medizinischen Beurteilungsfähigkeit eines Sachverhalts. Wenn ein Arzt feststellt, dass ein Mitarbeiter in der Produktion schichtfähig ist oder eben auch nicht – dann liegt diese Entscheidung ganz allein beim Arzt und bei keinem anderen – unabhängig von sämtlichen im Unternehmen herrschenden Interessen. Seine ärztliche Leistung ist unanfechtbar. In diesem Fall ist er in seiner Rolle als Arzt unterwegs.
Weisungsgebunden ist er allerdings doch, und zwar dann, wenn es um nicht-ärztliche, sondern um sogenannte Managementthemen im Unternehmen geht. Beruft der Vorstand beispielsweise ein Arbeitsmeeting im Management Circle ein und er gehört als Leitender Arbeitsmediziner dazu, muss er, wie seine Arbeitskollegen aus dem Management ebenfalls, diesem Aufruf folgen. In dem Moment nimmt er die Rolle des Untergebenen ein und ist einer von den Managern, die dort am Konferenztisch sitzen.
Weisungsgebunden als Führungskraft
Er ist wie alle anderen Kollegen ebenfalls verpflichtet, diese Themen aufzunehmen. Und zwar in ihrer Funktion als Führungskraft und nicht in der Rolle als Arzt. Wenn der Vorstand also entscheidet, es müssen zukünftig mit jedem einzelnen Mitarbeiter jeweils zwei Mitarbeitergespräche pro Jahr geführt und dokumentiert werden, dann gilt es selbstverständlich auch für den Arzt.
Fazit:
Es gibt trotz aller ärztlicher Schweigepflicht und Neutralität bezüglich fachlicher Beurteilungskompetenz Themenfelder im Management, denen sich auch der Arzt unterordnen muss.
…Projektleiter
Die Rolle des Projektleiters ist für den Leitenden Arbeitsmediziner in der Regel durchaus eine der ganz besonderen ihrer Art. In den meisten Fällen steht er vor der Herausforderung, das Projekt außerhalb der üblichen Arbeitszeiten und Bedingungen zu steuern. Und zwar neben seinen eigentlichen Aufgaben und Tätigkeiten.
Im Grunde genommen handelt sich hier zwar auch um eine Führungsrolle, allerdings ist es eine Führungsrolle ohne disziplinarische Führung. Häufig wird ihm als Projektleiter ein Team aus Mitarbeitern naheliegender oder angrenzender Abteilungen zur Seite gestellt. Immer unter der Voraussetzung, dass sich die Kollegen dazu bereit erklären, auf freiwilliger Basis und neben ihrer normalen Arbeitszeit an dem entsprechenden Projekt mitzuarbeiten.
Diesen Aspekt muss er bei seiner Planung von (Sonder-)Projekten unbedingt berücksichtigen. Da die Projektmitarbeiter weiterhin in ihrer naturgemäßen Tätigkeit eingebunden sind, müssen sie ihren zeitlichen und inhaltlichen Einsatz für das Projekt selbst organisieren. Im Zweifel kann das für sie bedeuten, dass Überstunden anfallen. Dann kann es schnell passieren, dass das Projekt in der Prioritätshierarchie auf einen der hinteren Plätze rutscht.
Führungsgeschick gefragt
In dem Moment hat der Projektleiter leider nicht automatisch die Möglichkeit, den Projektmitarbeitern entsprechende Anweisungen zu erteilen. Er ist in seiner Rolle des Projektleiters gefordert, stets motivierend und natürlich auch vorsorglich, verbunden mit einer gewissen Nachgiebigkeit zu handeln. Insbesondere wenn Kollegen ihre Aufgaben nicht termingerecht erledigen können, weil sie zum Beispiel kurzfristig eine andere Sonderaufgabe aus ihrer Abteilung übertragen bekommen haben und währenddessen nicht für das Projekt arbeiten konnten.
Dem Leitenden Arbeitsmediziner muss an dieser Stelle also bewusst ein, dass seine Projektleitungsaufgabe einer besonderen Führungssensibilität bedarf. Vor allem weil er Leistungen nur auf freiwilliger Basis einfordern kann und klassische Führungsmechanismen nicht einsetzen darf.
Anders sieht es aus, wenn die Projekte abteilungsintern, also bei den Abteilungszugehörigen Mitarbeitern des Leitenden Arbeitsmediziners, angesiedelt sind. Dann greifen die klassischen Führungsmechanismen eben doch und das Team ist entsprechend einfacher zu führen.
Fazit:
Der Leitende Arbeitsmediziner ist in seiner Rolle als Projektleiter gut beraten, ein abteilungsübergreifendes Projekt immer mit einer besonderen Sorgfalt, Empathie und Feinfühligkeit zu leiten und zu steuern. Mehr Appell und weniger Ansagen ans Team. Hier ist Führungs- und Kommunikationskompetenz gefragt.
…Projektmitarbeiter
Ein Projektteam besteht in der Regel aus einem Projektleiter und verschiedenen Projektmitarbeitern. Selbstverständlich kommt es auch vor, dass ein Leitender Arbeitsmediziner als Projektmitarbeiter Teil eines Projektteams wird. In dem Fall befindet er sich logischerweise in der Rolle eines Projektmitarbeiters. Seine Aufgabe ist es dann, dem Projektleiter, der ihm disziplinarisch nicht vorgesetzt ist, sein spezielles Know-how zur Verfügung zu stellen. Oder ihm die gewünschten Zahlen, Daten und Fakten zu liefern, die für den Erfolg des Projektes von Nöten sind. Der Leitende Arbeitsmediziner wird somit zum Zulieferer für den Kollegen, der hier als Projektleiter den Hut auf hat. Er steuert hier seinen speziellen Anteil zum Gesamterfolg des Projektes bei.
Fazit:
In der Rolle eines Projektmitarbeiters wird der Leitende Arbeitsmediziner zum Lieferanten des zuständigen Projektleiters. Ihm sollte klar sein, dass er hier ausschließlich für seine gelieferte Leistung Verantwortung trägt.
…als Berater
Grundsätzlich versteht sich ein Berater als jemand, der sein ausgewiesenes Expertenwissen auf Nachfrage einbringt und fachberatend tätig ist. Beratend tätig zu sein bedeutet, Empfehlungen auszusprechen, wie in bestimmten Situationen optimalerweise vorgegangen werden soll. Dabei trägt der Berater keinerlei Verantwortung für die Entscheidung. Er liefert lediglich die Entscheidungsgrundlage für denjenigen, den er berät. Aufgrund dieser Informationen und Empfehlungen trifft diese Person dann eigenverantwortlich ihre Entscheidung, die sie anschließend auch im gesamten Konzern verantwortet.
Nicht aufgeben, wenn Ratschläge nicht sofort Anklang finden
Leitende Arbeitsmediziner nehmen häufig die Rolle des Beraters ein. In dieser Rolle beraten sie beispielsweise den Vorstand wie mit Themen rund um die Mitarbeitergesundheit im Betrieb umgegangen werden soll. Nicht immer folgt der Vorstand den Empfehlungen des Leitenden Arbeitsmediziners – auch nicht in dessen Rolle als Berater. Es ist aber auch nicht zu erwarten, dass alle Empfehlungen und Ratschläge direkt aufgegriffen und umgesetzt werden. Eine in dem Fall oftmals aufkeimende Enttäuschung auf Seiten des Beraters ist hier allerdings nicht angebracht. Die Devise heißt „steter Tropfen höhlt den Stein“. Veränderungsprozesse in Konzernen bedeuten langwierige Prozesse. Einmal angestoßen werden sie zunächst über einen längeren Zeitraum hinweg so oft ausführlich diskutiert und weiterentwickelt, bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist, sie umzusetzen.
Ein Unternehmen lässt sich nicht per Knopfdruck einfach so sofort umstellen. Das sollte man sich als Berater immer vor Augen halten und sich darüber hinaus auch bewusstmachen, dass diese so wichtige Rolle des Beraters nicht immer von allen Kollegen im Management gleich sofort erkannt wird. Häufig müssen erst einmal Widerstände überwunden werden, bevor ein Nachdenkprozess gefolgt von einem Entwicklungsprozess einsetzt und am Ende der Entscheidungsfindungsprozess in Gang gesetzt wird.
Nicht selten tritt der Fall ein, dass zu einem späteren Zeitpunkt den Empfehlungen des Leitenden Arbeitsmediziners in seiner Rolle als Berater gefolgt wird. Das kann allerdings lange, mitunter einige Jahre, dauern.
Gesamt-Fazit:
Der Leitende Arbeitsmediziner sollte in seiner Rolle als Berater nicht gleich den Mut verlieren, wenn seine Empfehlungen, z.B. bei der Unternehmensführung, statt sofortiger und begeisterter Zustimmung, zunächst Skepsis erfährt. Bisweilen braucht es seine Zeit, den Nutzen neuer Gedankenansätze und Ideen zu erkennen und zu verstehen.