Christoph Tismer ist 43 Jahre alt, verheiratet und ist Vater einer siebenjährigen Tochter. In seiner begrenzten Freizeit nutzt er jede Möglichkeit, sich sportlich fit zu halten. Er ist von der IHK zugelassener Ausbilder für unter anderem Kaufleute im Gesundheitswesen. Darüber hinaus ist er Spezialist im Qualitätsmanagement, der ISO 9001.
Mit abgeschlossenem Studium als Wirtschaftsjurist startet Christoph Tismer Anfang der 2000er Jahre sein Berufsleben direkt im Health Care Sektor, wo er über viele Jahre in geschäftsführender Tätigkeit einer international agierenden Privatklinik in Berlin aktiv war.
Es folgte ein Auslandsaufenthalt in Spanien, wo er als Geschäftsführer für ein Fresenius-Tochterunternehmen tätig war. In dieser Zeit begleitete er ein Sonderprojekt bei der Bewirtschaftung, Wartung und Instandhaltung von Medizintechnik für eine private Klinikgruppe. Danach wechselte er in die Beratung, wo er schwerpunktmäßig internationale Gesundheitsprojekte in China betreute.
Seit Mai 2019 fungiert er neben Dr. Philipp M. Schäfer als Geschäftsführer bei Betriebsarztservice.
Herr Tismer, mögen Sie kurz einmal beschreiben, was genau der Betriebsarztservice macht?
Der Betriebsarztservice wurde im Februar 2018 gegründet. Gestartet haben wir mit der ersten Einrichtung hier in Berlin. Aktuell sind wir mit vier Standorten in ganz Deutschland vertreten, mit Tendenz zu weiterem Wachstum. Betriebsarztservice ist ein überregionaler Full-Service-Dienstleister für die Bereiche Arbeitsmedizin und Arbeitssicherheit. Das bedeutet, dass wir Unternehmen sämtliche Leistungen in diesem Bezug anbieten und zur Verfügung stellen. Dazu gehört die gesamte Klaviatur, die bezüglich der Arbeitsmedizin und Arbeitssicherheit für Unternehmen von Belang ist und rechtlich gefordert wird.
Welche Art von Kunden haben Sie dabei im Blick? Sind das eher Unternehmen aus dem sogenannten KMU-Bereich?
Bei unseren Kunden respektive Branchen haben wir faktisch kaum Einschränkungen. Neben der Möglichkeit einer Full-Service- Solution, bieten wir unsere Leistungen auch einzeln und nach Bedarf an. So bieten wir zum Beispiel auch eine rein arbeitsmedizinische Betreuung bei Unternehmen an, welche eventuell schon im Bereich der Arbeitssicherheit – gerade in der produzierenden Industrie nicht unüblich – auch eigene Fachkräfte für Arbeitssicherheit haben. Auch für diese Unternehmen, die die Bereiche Arbeitssicherheit oder Arbeitsmedizin innerbetrieblich schon selbst abgedeckt haben, bieten wir flankierend die fehlenden Leistungen an. Wir orientieren uns da ganz den Bedürfnissen und Erfordernissen unserer Kunden, um den gesetzlichen Anforderungen und unserem Serviceversprechen Rechnung zu tragen.
Sie haben sich mit Ihrem Unternehmen Betriebsarztservice unter anderem auf das Themenfeld Telemedizin in der Arbeitsmedizin als zukunftsorientierte Methode spezialisiert. Wie muss ich mir die Telemedizin als Laie vorstellen?
Die Telemedizin kann man entweder als eigenen Teilbereich sehen oder aber auch als übergeordneten Begriff nehmen für all das, was auf elektronischer Ebene in der Medizin möglich ist. Sei es ein bestimmter Diagnostik-Prozess, die Befundübermittlung/der Datenaustausch in elektronischer Form oder im Bereich der Telematik zum Beispiel die Überwachung von Gesundheitsparametern bei Patienten.
Beratung per Tablett, Smartphone & Co
Dies wurde lange Zeit – gerade bei uns in Deutschland – sehr vernachlässigt. Die Politik hat dies aber relativ „zeitnah“ erkannt und angefangen das Thema zu fördern. In der Arbeitsmedizin findet die Telemedizin vornehmlich in Form der ärztlichen Beratung via Videokonsultation Anwendung. Die Arbeitsmedizin stellt als beratenes Fach andere Anforderungen als die kurative Medizin. Das bedeutet, dass die Arbeitsmedizin in erster Linie ein beratendes Fach ist, welches nicht für die „Heilung“ zuständig ist.
Wir beraten und betreuen die Unternehmen in Bezugnahme auf Gesundheitsprävention, Unfallverhütung, Arbeitsumgebung und Förderung der Gesundheit im Kontext mit dem Arbeitsumfeld sowie weiteren Themenbereichen. Wir nutzen die telemedizinischen Möglichkeiten, um eine flexible Betreuung mit dem Mitarbeiter, dem Geschäftsführer oder auch Bereichsleiter durchzuführen zu können.
Sicherer Datenleitungen sind unerlässlich
Eine telemedizinische Betreuung bzw. Beratung eines Unternehmens ist nur durchführbar, wenn die Vorgaben aus Datenschutz und der ärztlichen Schweigepflicht auch vollumfänglich eingehalten werden. In der Praxis arbeiten wir hier mit einer speziellen Anwendung, welche den Rahmen für eine gesicherte Videosprechstunde bildet. Unser hier zum Einsatz kommendes Tool ist natürlich rein für die telemedizinische Anwendung entwickelt worden und entspricht allen notwendigen Konformitäten des Datenschutzes.
Wie sieht solch ein typisches Procedere in der täglichen Praxis aus?
Ein klassischer Fall dafür wäre: Im Rahmen der Schwangerenbetreuung des Mutterschutzes gibt es eine junge Dame, die im dritten Monat schwanger ist und in einem Büro arbeitet, in dessen Umfeld drei große Drucker stehen. Nun hat sie gelesen, dass die Feinstaubbelastung durch die Drucker gefährlich für ihr ungeborenes Kind sein kann. Natürlich hat sie große Angst, ob sie überhaupt in diesem Umfeld weiterarbeiten kann und ist unsicher wie sie dieser Thematik begegnen soll. Das ist der Moment, in dem der Betriebsarzt ins Spiel kommt.
Flexibel, schnell und kurze Wege
So könnte im Rahmen dieser Fragestellung höchst unkompliziert und zeitnah eine telemedizinische Beratung vereinbart werden, bei dem die Frau ihre Ängste bzw. ihre Frage mit dem Arbeitsmediziner bespricht und eine Lösung herbeigeführt wird. Während des Beratungsgesprächs berücksichtigt dieser ihre Position sowie ihr Arbeitsumfeld. Seine Antwort könnte daraufhin lauten, dass die Drucker in ihrer Umgebung alle mit einem Filter ausgestattet sind und keine Gefahr für sie bzw. ihr ungeborenes Kind besteht.
Kurzum: im Rahmen der telemedizinischen Möglichkeiten kann man solche Fragestellungen sehr, sehr schnell klären und ebenso schnell zu einer Problemlösung kommen. Ohne die Möglichkeit der kurzfristigen telemedizinischen Beratung müsste sie erst einen Termin in der arbeitsmedizinischen Praxis vereinbaren. Das wiederum würde für den Arbeitgeber gewisse Ausfallzeiten bedeuten und die Mitarbeiterin würde bis zu diesem Zeitpunkt von der Ungewissheit geplagt sein. Alternativ könnte die schwangere Frau bis zum nächsten Termin der arbeitsmedizinischen Betreuung vor Ort warten, was wiederum in der Zukunft läge und das Problem des zeitnahen Informationswunsches nicht gelöst hätte.
Die Telemedizin als zukunftsorientierter Bestandteil in der Arbeitsmedizin ist somit in der arbeitsmedizinischen Beratung für Unternehmen und deren Mitarbeiter, für Teilbereiche bei arbeitsmedizinischen Vorsorgen sowie für ggf. ärztliche Konsile zu sehen.
Wie streng sind die gesetzlichen Regularien auf dem Gebiet der Arbeitsmedizin? Gibt es Hürden, die Sie bisher zu meistern hatten?
Die Tatsache, dass wir im Bereich der Arbeitsmedizin ein rein beratendes Fach sind, bringt uns in die glückliche Position, dass wir kaum bis wenig gesetzlichen Regularien unterliegen. Anders als die rein herkömmliche und kurative Medizin. Dort gibt es meines Wissens nach gerade in den Bereichen Abrechenbarkeit und Anzahl der telemedizinischen Anwendungen Einschränkungen. Für unseren Bereich der Arbeitsmedizin fallen mir hier ad hoc keine Einschränkungen ein. Abgesehen natürlich von den oben genannten Datensicherheitsvorgaben, die ich aber nicht als Hürde betrachten möchte.
Welche Vor- bzw. Nachteile hat Ihrer Meinung nach die Telemedizin im Vergleich zur arbeitsmedizinischen Tätigkeit vor Ort?
Fangen wir mit den Vorteilen an. Der größte Vorteil der Telemedizin ist ganz klar die Möglichkeit der ressourcen-optimierten Anwendung in der Arbeitsmedizin. Vor allem ist das für die Unternehmen interessant, die keinen Arbeitsmediziner permanent vor Ort haben, gegebenenfalls aber einen gesteigerten Beratungsbedarf. Termine können schnell vergeben werden und die Beratung respektive Betreuung ist zudem auf allen relevanten Medien (Computer, Tablet, Smartphone) möglich.
Demographischer Wandel in der Arbeitsmedizin
Gerade in der heutigen Zeit , in der wir bei den Arbeitsmedizinern einem starken demographischen Wandel unterliegen, wird uns die Telemedizin zukünftig als extrem gutes Hilfsmittel zur Seite stehen. Laut der aktuellen Zahlen der Bundesärztekammer sind über die Hälfte aller in Deutschland tätigen Arbeitsmediziner über 60 Jahre alt.
Das bedeutet, dass wir früher oder später auf eine knappere Versorgung hinauslaufen. In der Konsequenz wird jeder Arzt mehr Unternehmen und mehr Probanden bzw. Arbeitnehmer betreuen müssen. Das wird ohne Zuhilfenahme der digitalen Möglichkeiten, wie z.B. die Telemedizin nur schwer umsetzbar sein. Der Nachwuchs von morgen entsteht ja im Rahmen der fachärztlichen Weiterbildung gerade erst. Wenn man also nicht rechtzeitig die Zeichen der Zeit erkennt, läuft man schnell Gefahr auf Behandlungs- und Beratungsdefizite zuzulaufen. Hier sehen wir die große Daseins-Berechtigung, den großen Benefit für die Telemedizin. Wie gesagt, der einzelne Arzt kann so effizienter und effektiver arbeiten.
Telemedizin ist immer als ergänzendes Mittel zu betrachten
Nichts desto trotz ist die Telemedizin immer nur als ergänzende Maßnahme zur arbeitsmedizinischen Betreuung zu sehen. Sie wird niemals die direkte Tätigkeit eines Arbeitsmediziners vor Ort ersetzen können.
Und somit sind wir auch schon bei den Grenzen der Telemedizin angekommen. Sie liegen darin, dass eine gute Beratung bzw. Betreuung nur dann erfolgen kann, wenn die Arbeitsplatzumgebung im Vorfeld begangen worden ist und genügend Informationen darüber vorliegen. Selbst, wenn man im Rahmen der Telemedizin mit einer entsprechenden Kamera durchs Unternehmen wandert, würde dies nicht ausreichen, dass sich der Arbeitsmediziner ein umfängliches und substanzielles Bild von der Arbeitsumgebung vor Ort machen kann.
Denn um ein Unternehmen adäquat beraten zu können, muss der Arbeitsmediziner auch das Umgebungsumfeld und die Arbeitsbedingungen vor Ort bestens kennen. Das kann und sollte durch die Möglichkeiten und den Einsatz der Telemedizin nicht ersetzt werden.
Wird dieser Service von den Unternehmen gut angenommen? Wie entwickelt sich dort die Akzeptanz für solch einen Service?
Abgesehen davon, dass dieser Leistungsbaustein in unseren Grundbetreuungsverträgen automatisch inkludiert ist, haben wir ein sehr positives Feedback von den Unternehmen bekommen.
Durch die telemedizinischen Möglichkeiten bieten wir somit den Unternehmen mehr Flexibilität im Rahmen der arbeitsmedizinischen Betreuung und Beratung. Das wird zusehends auch von unseren Kunden erkannt und in Anspruch genommen.
Obgleich es bei einigen Unternehmen auch die Sorge gibt, dass durch den Einsatz der Telemedizin in der Arbeitsmedizin kein Arzt mehr im Unternehmen erscheint. Diese Sorge erachte ich aber als unbegründet, denn wie schon zuvor ausgeführt, kann Telemedizin die Arbeit vor Ort nicht ersetzen. Deshalb definieren wir das Angebot auch als Zusatzleistung im Rahmen der Grundbetreuung, welches in erster Linie einen Vorteil für das Unternehmen darstellen sollte.
Wie ist die Resonanz der betroffenen Mitarbeiter in den Unternehmen? Wie gehen diese mit der räumlichen Entfernung um? Welche Erfahrungen haben Sie bzw. Ihre Arbeitsmediziner hier gemacht?
Wir haben hier eine sehr positive Resonanz erfahren. Die Mitarbeiter finden es gut, dass diese Leistung im Unternehmen grundsätzlich angeboten wird. Darüber hinaus erkennen sie es durchweg als Vorteil an, über das Format „Telemedizin“ schnell und auf unkompliziertem Weg an Informationen zu gelangen und sich mit dem Arbeitsmediziner über ihre Fragestellung austauschen zu können.
Der Mitarbeiter ist in der Durchführung frei und kann selbst entscheiden, wann und über welches Medium er das Beratungsgespräch führen möchte: per E-Mail vom Computer aus, telefonisch mit dem Griff zum Smartphone oder per Video zum Beispiel über das Tablett. Diese Flexibilität führt dazu, dass die Mitarbeiter diesen Service sehr gut annehmen und nutzen.
Welche Unterstützung würden Sie sich seitens der Politik wünschen, um im Bereich der Telemedizin noch bessere Resultate erzielen zu können?
Große Restriktionen haben wir nicht, wie eben schon erwähnt. Aber gut wäre, wenn der Bereich der Telemedizin, explizit im Bereich der Arbeitsmedizin, noch weiter gefördert würde.
- Ich würde mir wünschen, dass die Politik anfängt, Rahmenbedingungen haftungsrechtlicher, datenschutzrechtlicher und berufsrechtlicher Natur für die Arbeitsmedizin betreffend sauberer abzufassen und aufzustellen. Klare Informationen darüber würden – nicht nur uns – dabei helfen, diesen Bereich noch besser ausüben zu können.
- Eine Vereinheitlichung der in Anwendung kommenden Datenformate ist ein weiterer Punkt den ich hier anmerken möchte. Der Datenaustausch und die Migration von Daten unterschiedlicher Herkunft würde somit um ein Vielfaches vereinfacht werden, was eine noch bessere Anwendbarkeit und Qualität in der Telemedizin zur Folge hätte.
- Und schlussendlich wäre es meines Erachtens sehr hilfreich, wenn die Politik etwas mehr positiven Druck auf die Fachgesellschaften ausüben würde, um deren Akzeptanz hinsichtlich der Telemedizin deutlich zu stärken. Gerade mit Blick auf den demographischen Wandel, dem wir im Bereich der Arbeitsmedizin zunehmend unterliegen. Der Telemedizin würde es extrem helfen, wenn die Fachgesellschaften ihr eine höhere Aufmerksamkeit schenken würden und das Thema vermehrt mit in den Fokus rücken.
Ein Blick in die Glaskugel gewagt: was ist Ihre Prognose bezüglich Entwicklung Telemedizin in der Arbeitsmedizin für die nächsten Jahre?
Die Telemedizin wird zukünftig nicht nur im Bereich der regulären Medizin sondern auch im Bereich der Arbeitsmedizin einen festen Platz einnehmen und ihre Daseinsberechtigung bekommen. Gerade im Hinblick auf den technologischen Fortschritt im Bereich der Informations- und Kommunikationsmittel.
In Verbindung mit dem bestehenden und zukünftigen Bedarf in der arbeitsmedizinischen Betreuung versus dem Mangel an Arbeitsmedizinern, wird dieser Umstand dazu führen, dass die Betreuung und Beratungskompetenzen gebündelt und im Rahmen der digitalen Möglichkeiten noch optimaler eingesetzt werden müssen, zum Beispiel durch die Telemedizin. Dies könnte den Weg aufweisen, sämtlichen Unternehmen eine optimierte arbeitsmedizinische und arbeitssicherheitstechnische Betreuung anbieten zu können.
Herzlichen Dank für das Interview!