Studium – Job – Chef = Ideale Karriere!
Wirklich?!?
Exzellente Abschlüsse von Schule und Studium. Danach Anheuern beim Top-Arbeitgeber. Der Weg führt konsequent von der Fach- über Führungskraft stringent immer weiter nach oben an die Spitze. Nur wer die höchsten Titel trägt, hats wirklich geschafft. Dann ist die Karriere perfekt.
Unendlich viele Tipps kursieren nach wie vor im Netz und versprechen, genau an dieses Ziel zu kommen. Das Karriere-Rezept dafür speist sich unter anderem aus folgenden Zutaten:
- Ziele kennen
- Netzwerk aufbauen
- Zeitmanagement im Griff haben
- Rhetorisch stark sein
So weit, so gut. Für viele mag dieser Weg genau der richtige zu sein. Zum Beispiel für toughe Karriere-Typen, strotzend vor Selbstbewusstsein und voller Motivation, die nur eins wollen: ganz nach oben.
Seit einiger Zeit taucht in diesem Zusammenhang immer häufiger auch der Begriff Selbstreflexion auf. Da wird mir doch gleich wärmer ums Herz. Denn ich bin der Meinung, dass das, was allgemein üblich für den einzig richtigen Karriereweg gehalten wird, längst überholt ist. Viel wichtiger ist das persönliche Wohlbefinden im Job. Steht die innere Stärke in einem gesunden Verhältnis zu den beruflichen Herausforderungen, ist Erfolg im Beruf vorprogrammiert.
Warum ich diese Sichtweise vertrete, zeigt beispielhaft nachfolgende Geschichte einer Arbeitsmedizinerin, die ich beraten durfte:
Nach dem Studium in den Job und ab dann geht es nur noch bergauf, …
…so sah es zumindest lange Zeit aus. Und dann?
„Bisher lief alles rund. Was ist passiert“? Marthe, 35 Jahre, Fachärztin für Innere Medizin und Arbeitsmedizin, ist verunsichert. Sie blickt auf einen mühelosen Werdegang zurück. Schulzeit mehr oder weniger mit links gemeistert, das angeschlossene Medizinstudium inklusive Promotion sogar mit summa cum laude. Es folgen Stationen in der Klinik und später dann auch als Weiterbildungsassistentin für Arbeitsmedizin in einem Konzern. Dort arbeitet sie noch heute. Ihr Tätigkeitsfeld macht ihr viel Spaß und nie hat sie je eine Entscheidung bereut.
Als ihr Chef das Unternehmen verlässt und die Leitungsposition für Arbeitsmedizin vakant wird, erhält sie kurzerhand das Angebot diesen Posten zu übernehmen. Beherzt nimmt sie die neue Aufgabe an. Das wollte sie immer machen. Mehr Verantwortung übernehmen und ein Team führen.
Zahlen statt Medizin
Und plötzlich ist alles anders. Sie hat das Gefühl, niemandem gerecht zu werden. Es geht nur um Kennzahlen und darum, wie der Bereich Betriebliches Gesundheitsmanagement im Unternehmen strategisch ausgebaut werden sollte. Tagtäglich sitzt sie über Excel-Tabellen und brütet darüber, wie sie die notwendigen Budgets bei der Geschäftsleitung durchsetzen kann. Hinzukommen die immer schärfer werdenden Diskussionen mit dem Produktionsleiter, der über einen dauerhaft hohen Krankenstand in seinem Bereich schimpft. Diese Situation erfordert den Einsatz von Leiharbeiter*innen über eine Zeitarbeitsfirma, was wiederum sein Budget zusätzlich stark belastet. Seine Erwartungen an Marthe, den Krankenstand kurz- und mittelfristig drastisch zu reduzieren, lasten enorm auf ihren Schultern.
Konflikte innerhalb der Mannschaft
Nicht zu vergessen dieser unsägliche, nie enden wollende Streit zwischen den beiden Mitarbeiter*innen über die Frischluftzufuhr. Im täglichen Kampf ging es um aus ihrer Sicht nichts Geringeres als „Fenster auf oder Fenster zu“. Zunächst hatte sie versucht, mittels einer klaren Ansage eine schnelle Lösung herbeizuführen, was keineswegs zu einer Entspannung der Situation beitrug. Im Gegenteil, die Stimmung im Team ist seitdem reichlich unterkühlt, womit Marthe nur schwer klarkommt. Ganz abgesehen davon, dass sie zeitnah die Entscheidung treffen muss, wer von den beiden befördert werden soll. Das wird die Stimmung im Zweifel nicht besser werden lassen.
Marthe nimmt all diese Themen mit nach Hause und kann schlecht abschalten. Seit einiger Zeit leidet sie zu allem Überfluss an Schlafstörungen.
Das war der Moment, als sie sich entschloss, mit einem Karriere-Experten über ihr Dilemma zu sprechen. Ihre Auswahl fiel damals auf mich.
Diese Art von Erlebnissen sind nicht unüblich für junge Führungskräfte
Sich für den Weg in eine Führungsposition zu entscheiden, verändert nicht nur den Titel oder das Gehalt. Es heißt auch, sich größtenteils von der Kollegialität verabschieden zu müssen und die Rolle der Führung für sich einzunehmen.
Führung erfordert Haltung und Fähigkeiten
Diese Rolle ausfüllen zu können erfordert eine entsprechende Haltung und besondere Fähigkeiten. Dazu gehören Kommunikationsstärke, Empathie empfinden zu können oder auch Konflikte aufzudecken und zu lösen. Passieren mir Fehler, muss ich in der Lage sein, mich und mein Handeln ehrlich und offen zu reflektieren. Nur das hilft mir zu erkennen, was ich nicht bedacht habe und zukünftig verbessern sollte.
Strategische Themen nehmen großen Raum ein
In der Regel verändern sich auch die Aufgabengebiete weg vom Tagesgeschäft hin zu strategischen Themen. Wohin soll die Reise in Zukunft gehen? Welche Ziele sollen erreicht werden? Das betrifft sowohl den Arbeitsbereich als auch die Mitarbeiter*innen.
Zudem muss ich als Führungskraft in der Lage sein, komplexe Sachverhalte strukturieren zu können und in ein verständliches System zu bringen. Fehlen mir dafür wichtige Hintergründe, darf ich mich nicht davor scheuen, notwendige Fragen zu stellen. Das gilt auch in Konfliktsituationen, die ich nur richtig beurteilen kann, wenn ich den gesamten Kontext kenne und verstehe.
Diese Dinge lerne ich im Laufe der Jahre, manchmal aber auch schon in der Vorbereitung, wenn Unternehmen Personalentwicklungsprogramme über externe Dienstleister*innen anbieten. Denn eins ist klar: Führung kann man lernen.
Karriere machen als Spezialist
Klar ist aber auch, dass nicht jeder in dieser Rolle und Position glücklich wird. Karriere heißt nicht nur nach oben zu klettern und damit den hierarchisch aufsteigenden Weg zu wählen. Karriere heißt auch, sich in bestimmten Feldern zu spezialisieren und weiterzuentwickeln. Das wäre dann die Fachkarriere zum Beispiel im Bereich der Chemie und Gefahrenstoffe. Hier sind bezüglich Sicherheits- und Gesundheitsaspekte spezielle Kenntnisse gefordert. Ganz anders als zum Beispiel in einem Logistik-Konzern. Im Zuge einer Fachkarriere können sich Arbeitsmediziner*innen hier spezialisieren und zu echten Expert*innen entwickeln.
Sich selbst zu kennen ist elementar
Ich empfehle an dieser Stelle immer erst einmal in sich selbst hineinzuschauen. Erst wenn ich die Taschenlampe nach innen ausrichte und erkenne, wie ich bin und was ich brauche, verstehe ich, wohin mein Weg mich führen sollte. Was für ein Typ bin ich wirklich? Was treibt mich an? Aus welcher Motivation heraus tue ich Dinge und was fällt mir eher leicht oder schwer? Denn wichtig ist die eigene Arbeitszufriedenheit. Das sollte immer das Ziel sein: Mir geht es gut, ich habe Freude an meiner Arbeit und ich werde gebraucht. Dann fühle ich mich weder dauerhaft überfordert noch spüre ich großen Druck. Ganz im Gegenteil, ich freue mich über neue Herausforderungen, die ich selbstbewusst meistern werde.
Das schaffe ich in dem Moment, wenn mein Inneres (was fühle ich) mit dem Äußeren (was veranstalte ich) übereinstimmt und im Gleichgewicht steht. Dabei bleibe ich authentisch und fühle mich weitestgehend wohl in meinem Tätigkeitsfeld mit allen äußeren Einflüssen. Extrem wichtig ist dabei das innere Gefühl. Das muss stimmen. Denn nach außen hin kann ich Fassaden aufbauen und bestimmte Rollen spielen. Das ist manchmal gefordert und auch nicht grundsätzlich falsch. Aber wenn diese nicht dauerhaft mit meiner inneren Haltung korrespondiert, kann ich extern vorspielen, was ich will – irgendwann frisst es mich auf.
Genau das ist im Fall von Marthe eingetreten. Aus ihrer inneren Position heraus möchte sie eigentlich “nur” ihren Job machen. Den sie darin sieht, für eine möglichst hohe Gesundheitsquote im Betrieb zu sorgen. Darunter versteht sie, Krankheiten frühzeitig zu erkennen, aber lieber noch vorzubeugen. Jegliche Konflikte innerhalb oder auch außerhalb ihres Teams stellen für sie eine enorme Belastung dar. Sie tendiert dazu, es allen recht machen zu wollen, was natürlich in einer Führungsposition schwerlich möglich ist.
Fazit:
Karriere zu machen heißt nicht allein, den höchstmöglichen Titel in seinem Beruf zu erreichen. Was nicht heißt, dass dieser Weg verkehrt ist. Nein, natürlich nicht. Aber viel wichtiger als dieser Aspekt sind das persönliche Wohlbefinden und Lebensglück. Stimmt das innere Gefühl mit der Aufgabenstellung samt Umfeld überein, ist es das Größte, was ich in der Karriere erreichen kann.