Top-Fachkräfte im Bewerbungsgespräch erkennen
Wie man es dreht und wendet: Trotz aller Vorzüge durch die Standardisierung von Unternehmensprozessen ist der Personaler gefordert, sich im Job-Interview intensiv mit Kandidat und Position auseinanderzusetzen.
Warum es also keine Blaupause für die Vorbereitung von Kandidaten-Interviews geben kann und wo der Schlüssel zum Erfolg zu finden ist, beantwortet uns hier Guido Lysk, Karriere-Experte und Personalberater.
Gibt es die eine heilsbringende Methode, sich erfolgreich für Vorstellungsgespräche zu rüsten?
Üblicherweise werden in den HR-Abteilungen zwei Philosophien zur Vorbereitung auf ein Vorstellungsgespräch vertreten:
Die eine Fraktion ist davon überzeugt, dass jegliche Gespräche situativ improvisiert werden und sich aus der Stimmung heraus ergeben sollten. In dem Fall bereiten sich die HR-Verantwortlichen nur wenig auf das Vorstellungsgespräch vor. Sie überfliegen oberflächlich die Unterlagen ohne weitere akribische Vorarbeit. Ihnen ist es wichtiger, den Menschen auf sich wirken zu lassen und aus der Situation heraus zu agieren. Erst im Anschluss an das Gespräch lesen sie die Bewerbungsunterlagen des Kandidaten. Das ist die eine, wahrlich extreme Fraktion.
Die andere Seite ist das genaue Gegenteil. Akribisch studieren die Personaler den Lebenslauf mit allen vorhandenen Details. Sie gleichen Zahlen mit den Zeugnissen ab. Genauso wie die verklausulierten Beschreibungen mit der Frage, wie stringent der Weg bisher verlaufen ist. Gibt es Auffälligkeiten wie zum Beispiel Brüche im Lebenslauf oder kurze Wechselzeiten zwischen zwei verschiedenen Jobs? Alles wird im Detail erfasst und geprüft. Einige Personaler untersuchen selbst den Aufbau des Lebenslaufs, um daraus vorhandene Kreativitätspotenziale abzuleiten oder die Fähigkeit, strukturiert arbeiten zu können. Nicht zu vergessen ist das Anschreiben, welches gewissenhaft gelesen, interpretiert und auseinandergepflückt wird. Gleichzeitig werden sofort alle Fragen notiert, die durch den Kopf schießen. Immer mit dem Ziel, das Interview top durchgeführt zu haben. Das sind wohlgemerkt zwei Extreme.
Welche Methode scheint die Richtige? Gibt es den idealen einzig richtigen Weg?
Gegenfrage: Was genau ist ideal, um den perfekt passenden „High Potential“ zu rekrutieren?
Die beiden vorgenannten Extreme sind auf jeden Fall interessante Varianten und haben jede etwas für sich. Gleichzeitig birgt es deutliche Nachteile. Denn genau das, was der eine bekommt, kann dem anderen durch die Lappen gehen. Bei bestimmten Berufsgruppen wie zum Beispiel aus der Kultur- oder Kreativwirtschaft wäre eine statisch strukturierte Vorgehensweise sicherlich nicht von Erfolg gekrönt.
Im Controlling oder IT-Bereich hingegen kann das durchaus der richtige Weg sein. Anders sieht es schon wieder beim Ingenieur aus, den man wahrscheinlich eher dem strukturierten Verfahren zuordnen würde. Allerdings ist es bei diesem Berufsbild enorm wichtig, ein gewisses Maß an Kreativität mitzubringen. Schließlich soll er in den meisten Fällen zukunftsweisende Innovationen entwickeln. Also muss man sich vielleicht die Frage stellen, zu welcher Berufsgruppe passt welches Verfahren?
Das ruft ja förmlich nach einem Mix der einzelnen Verfahren. Wäre Individualisierung die Antwort?
Es gibt heute Tendenzen zum teilstrukturierten Interview. Das bedeutet, ich lasse auch immer einen Teil des Gespräches offen für Kreativität, für Impulsives oder für den sogenannten Small Talk. Auf der anderen Seite brauche ich aber auch gewisse Fakten, Daten, Zahlen, die überprüft werden müssen. Je nachdem welche Voraussetzungen für die zu besetzende Stelle erfüllt sein müssen. Wird ein Führerschein benötigt, dann muss ich mir den vorlegen lassen. Sonst mache ich einen großen Fehler, wenn ich jemanden einstelle, der am Ende gar keinen Führerschein besitzt.
In einem Unternehmen gibt es viele verschiedene Berufsbilder und Kategorien. Das Interview mit einem Geschäftsführer sollte anders verlaufen als das mit einer Team-Assistentin. Das gleiche gilt für Vorstellungsgespräche mit Entwicklern, welche andere Methoden fordert als mit einem Kreativen oder Controller. Das teilstrukturierte Interview hat den Vorteil, dass es sowohl Fakten beinhaltet als auch Freiraum für zwischenmenschlich–kreative Impulsive lässt.
Das würde ja bedeuten, dass jedes Interview mit einem Kandidaten individuell vorbereitet werden muss. Ist das richtig?
Nun ja. Eine Idee wäre, nach der bewährten 80:20 Regel zu handeln. 80 Prozent wird für eine strukturierte Abfrage von Fakten genutzt und 20 Prozent der Zeit werden flexibel vorgehalten. Quasi als offenes Gespräch, welches sich thematisch aus der jeweiligen Situation heraus entwickelt. Alternativ wären natürlich auch 50:50 oder 70:30 denkbar. Jeder Anteil ist möglich, der situativ und je nach Berufsgruppe nach oben oder unten gefahren werden kann. Wichtig ist es, sich im Vorfeld Gedanken darüber zu machen, mit wem ich mich unterhalte. Mit einem Kreativen ein völlig strukturiertes Interview nach Fragenkatalog durchzuarbeiten, kann genauso erfolglos sein wie ein ausschließlich offenes Gespräch mit einem Konzerncontroller. Schlussendlich kommt man um eine intensive Vorbereitung auf jedes einzelne Vorstellungsgespräch nicht herum. Das ist richtig.
Und wie siehts in der Arbeitsmedizin aus?
Vorangestellt sei gesagt, dass wir hier von einem sehr engen Markt sprechen. Angebot und Nachfrage stehen in einem extrem ungleichen Verhältnis zueinander, bei dem das Angebot deutlich unterliegt. Unternehmen sind heute fast schon dazu gezwungen, jeden Bewerber zum Gespräch einzuladen.
Hinzukommt, dass Ärzten besondere Eigenheiten nachgesagt werden, die aus meiner Erfahrung heraus nicht völlig aus der Luft gegriffen sind. Bewerbende Ärzte präferieren es, ihr Interview mit Medizinern zu führen. Sie lehnen Gespräche mit dem Personalmanager, der Werksleitung oder dem kaufmännischen Leiter gänzlich ab. Sie versuchen, sich primär auf der ärztlichen Ebene zu bewegen, was schlichtweg kontraproduktiv ist. Ein guter Arzt, der im Konzern arbeitet, muss in der Lage sein, sich mit allen Bereichen sowie den entsprechenden Mitarbeitern auf Augenhöhe auseinandersetzen zu können. Das ist ein extrem wichtiger Aspekt. Als Personaler ist man aufgefordert, dieses Spannungsfeld auszuloten.
Gefragt sind Ärzte mit wirtschaftlichem Verständnis und sozialer Kompetenz
Unternehmen brauchen einen Arzt, der komplex Denken und sich in ärztlicher Hinsicht zurücknehmen kann. Dazu gehören eine unternehmerische, zumindest aber kaufmännische Sichtweise sowie Diplomatie, Kommunikationsfähigkeit und soziale Kompetenz. Es geht um Verhalten, Haltung, Einstellung zu den Themen Ernährung und Bewegung sowie um die gesunde Verbindung zwischen Arbeit und Freizeit. Es ist ein hochkomplexer Ansatz, bei dem alle Beteiligten eingebunden und sämtliche Disziplinen miteinander verknüpft werden müssen. Das ist die Aufgabe der Ärzte. Mit dem Ziel, gesündere Abläufe entstehen zu lassen, die am Ende des Tages den Krankheitsstand und die Unternehmenskultur beeinflussen. Und zwar positiv.
Ärzte zu finden, die diesen Anforderungen gerecht werden, ist die große Herausforderung für die Unternehmen und die Aufgabe im Interview: Herauszufinden, ob der Kandidat dazu bereit ist, solch eine Rolle anzunehmen. Das erfordert sowohl eine größtmögliche Sensibilität für den Menschen als auch eine intensive Eignungsprüfung hinsichtlich der notwendigen Kompetenzen und Fähigkeiten. Ich empfehle hier, tief in die Diagnostik einzusteigen und sich sehr gut auf das Gespräch vorzubereiten.
Wie kompromissbereit will, respektive sollte ein Unternehmen bei der Einstellung von Arbeitsmedizinern sein?
Es gibt sehr wohl Ärzte, die nicht geeignet sind. Und es führt völlig am Ziel vorbei, nur aus Verzweiflung oder Mangel an Alternativen einen ungeeigneten Arbeitsmediziner in den Konzern zu holen, der am Ende nur für eine kurze Zeit bleibt. Effektiver ist es dann, ausreichend Zeit einzuplanen und zur Überbrückung mit einem Dienstleister zu arbeiten, so lange bis der passende Kandidat gefunden worden ist.